Tag 1
Jetzt ist es soweit. Mein Mann und ich gehen noch lecker frühstücken, bevor wir ins Krankenhaus fahren. Um 9 Uhr sind wir pünktlich an der Krankenhausanmeldung, um mich aufnehmen zu lassen. Es ist zugegebenermaßen ein bedrückendes Gefühl, hier so zu sitzen und im Hinterkopf zu haben, dass mir noch am selben Tag beide Brüste amputiert werden.
 
Ich bekomme ein schickes Band um mein rechtes Handgelenk mit meinem Namen und meinem Geburtsdatum darauf. Wir gehen auf die Station Nigella ins Zimmer 376 – ein Zweibettzimmer. Ich habe gerade erfahren, dass meine Operation um 16 Uhr stattfinden wird und vorher noch einige Untersuchungen gemacht werden müssen. Eine in blau gekleidete Schwester kommt ins Zimmer, und ich bekomme erst einmal einen Venenkatheter gelegt, um mir anschließend 5 Röhrchen Blut abzapfen zu lassen. Später werden mir dann alle Medikamente darüber verabreicht. Leider ist der Zugang an einer echt scheiß Stelle. Aber da es auch nach dreimaligem Nachfragen niemanden wirklich interessiert, dass mir der Zugang echt ziemlich weh tut, ergebe ich mich meinem Schicksal und bin heute mal ein Indianer.
 

 

Als erstes soll ich zum Lungenröntgen. Man sagt mir, ich brauche mich nicht extra anzumelden, sondern solle mich ins Wartezimmer setzen und warten, bis ich aufgerufen werde. Etwa 30 Minuten später frage ich dann  beim Lungenröntgen doch einmal nach, wann ich denn ungefähr dran komme und bekomme die Frage gestellt, wer ich denn sei. Hmm, ok! Das war wohl nix mit „Sie brauchen sich nicht anmelden!“☺. Die nächste Untersuchung ist das Elektrokardiogramm (EKG), eine Herzuntersuchung, bei der es länger dauert, mir die Sensoren am Oberkörper anzubringen als das eigentliche Messen. Das EKG war also nur ein kurzer Ausflug, bis ich wieder auf meinem Bett liege und warte. 

 
Plötzlich öffnet sich die Tür. Ein Rollstuhl gefolgt von 4 Menschen poltern ins Zimmer. Das muss meine Zimmernachbarin sein. Wie ich später erfahre, eine 92-jährige Dame, der ein Tumor aus der Brust heraus operiert wird. Ich muss auch schon wieder weiter – aber diesmal zur Nuklearmedizin. Hier wird mir ein radioaktives Mittel gespritzt, um später auf einem Bildschirm sehen zu können, wo genau der erste Lymphknoten liegt, der sogenannte Wächterlymphknoten. Der muss nämlich entfernt werden, um auf Krebszellen untersucht zu werden. Sollte dieser wirklich Krebszellen enthalten, müsste ich mich sicher einer Strahlentherapie unterziehen.
 
Es ist 15:15 Uhr. Da ich gleich abgeholt werde, ziehe ich meinen Operationskittel an und schlüpfe in eine sexy Netzunterhose. Jetzt bin ich ziemlich aufgeregt. Ewas beruhigen kann ich mich zum Glück, weil ich weiß, dass mich die Besten der Besten operieren.  Es klopft und ein in bordeauxrot gekleideter Mann tritt ins Zimmer, um mich mit samt dem Bett in den Operationsbereich zu schieben. Nach etlichen Abschiedsbussis von meinem Mann, durch den gesamten Gang bis hin zum Aufzug, werde ich dann allein in den Aufzug geschoben.
 
Auf einmal kommt mir alles wie ein Déjà-vu vor. Wie schon bei meiner Eileiterschwangerschaft vor fast genau sieben Monaten, liege ich wieder hier im Vorzimmer der Operationsräume ganz alleine und warte. Anders als damals überkommt mich plötzlich eine unerklärliche Panik. Was ist, wenn mein Frauenarzt nicht kommt? Wenn er krank ist? Oder wenn er einen Unfall hatte? Was mache ich dann? Ich lasse mich auf keinen Fall von jemand anderen operieren! Hätte mich jemand informiert, wenn er nicht kommt? Hätte man die Operation dann verschoben? Oder verschiebt man keine Krebsoperationen?
 
Nur komisches Kopfkino… aber irgendwie kann ich mich durch gutes Zureden dann doch beruhigen. Mein Doc würde mich niemals hängen lassen! Glücklicherweise kommt einen Moment später die Anästhesistin des Teams meines Frauenarztes, die ich ja inzwischen auch schon gut kenne. Sie erkennt mich auf Anhieb und fragt, warum ich meine Abmachung nicht eingehalten habe. Wir wollten uns eigentlich erst wieder beim Kaiserschnitt im Operationssaal sehen. Tja, was soll ich sagen? Dann gilt das wohl ab jetzt ☺!
 
Jetzt geht es los! Dachte ich! Denn nachdem ich im Operationssaal ankomme, muss ich noch von meiner Ärztin angemalt werden, bevor ich in Narkose versetzt werden kann. Die ist jedoch nicht auffindbar. Deswegen liege ich da jetzt, frierend (trotz Wärmedecke) in dem eiskalten sterilen Operationssaal und warte bis sie kommt – mit allen anderen Ärzten, Assistenten und Schwestern…
 
So sie kommt. Jetzt geht alles sehr schnell. Mein Oberkörper wird vermessen und mit Strichen und Linien bemalt. Ich lege mich hin, höre noch „Schlafen Sie gut!“ und war weg…. Als ich die Augen im Aufwachraum wieder aufmache, sehe ich das, was man sehen will, wenn man aufwacht. Einen geliebten Menschen – meinen Mann! Er sagt mir, dass er mit der Schwester gesprochen habe und alles super gelaufen sei. Alle sind sehr froh über den Verlauf der Operation.
 
 
Als ich später wieder einigermaßen aufnahmefähig bin, erzählt mir ein Arzt, dass meine Brustwarzen erhalten werden konnten, was mich natürlich unglaublich glücklich macht. Ich kann es gar nicht annähernd beschreiben, wie happy ich darüber bin, dass die wenigstens noch da sind.
 
Es ist schon neun Uhr als ich in mein Zimmer geschoben werde. Ich fühle mich gerade erstaunlich fit im Kopf und lasse mir erst einmal mein Handy geben, um meiner Mutter noch die für sie wichtigste Information zu schicken, dass es mir soweit gut geht und sie jetzt beruhigt schlafen gehen kann. Natürlich hat mein Mann sie auf dem Laufenden gehalten, aber ich wollte meinen Eltern auch gerne persönlich noch schreiben.
 
Nach einem Zwieback, den ich mir irgendwie reingezwängt habe, weil mir so schlecht vor Hunger ist, versuche ich, endlich etwas zu schlafen. Das funktioniert eher schlecht als recht, weil ich starke Schmerzen habe. Glücklicherweise bekomme ich um 24 Uhr noch zwei Infusionen angehängt – ein Schmerzmittel und ein Antibiotikum. Das hilft ziemlich schnell, und da ich so erschöpft und zugedröhnt bin, fallen mir einfach die Augen zu. Jedoch schlafe ich leider nicht wirklich tief und wache gefühlte hundert Mal auf.
 
 
Tag 2
Immer noch völlig beduselt, schlage ich meine Augen auf. Es ist erst 5:30 Uhr und bis jetzt war es wirklich eine Horrornacht. Bewegen kann ich mich kaum vor Schmerzen, und ich frage mich ständig, wann ich endlich wieder Schmerzmittel bekomme. Ich mache lieber noch einmal die Augen zu und zum Glück werde ich erst um 7:00 Uhr von der Schwester geweckt, die mit neuen Infusionen das Zimmer betritt. Endlich!

Jetzt wache ich langsam aber sicher auf. Vorsichtig wage ich einmal einen Blick nach unten auf meine Brust, doch ich habe einen dicken fetten Verband umgewickelt. Sehen kann ich also nichts. Anhand der fehlenden Erhöhungen kann ich nur erahnen, wie es darunter wohl aussieht. Ich schaue weiter und sehe zwei Schläuche links und zwei Schläuche rechts aus dem Verband herauskommen, aus denen Wundflüssigkeit und Blut irgendwo hinläuft. Später sehe ich erst die je zwei Plastikbehälter in die die Flüssigkeit hineingesaugt wird. Irgendwie dämmert es mir gerade ein wenig, was da mit mir passiert ist. Meine Brüste sind weg – beide! Wie geht man damit eigentlich richtig um? Wie geht es mir überhaupt? Geht es mir gut? Oder geht es mir schlecht? Ich kann die Fragen jedoch derzeit noch nicht beantworten. Es ist alles so schnell gegangen, dass ich das Gefühl habe, meine Seele hat von all dem noch gar nichts mitbekommen.

 
So, jetzt muss ich auf die Toilette. Ich klingele also nach der Schwester, die mir ausdrücklich befohlen hat, das erst Mal, nur in Begleitung aufzustehen. Ich raffe mich also auf, jetzt sehe ich auch das erste Mal die vier Plastikbehälter, in die die Wundflüssigkeit hineinläuft. Noch weiß ich nicht genau, wie ich das anstellen soll mit diesen Teilen auf die Toilette zu gehen. Die Schwester hat eine Idee – sie holt mir zwei Klinik Sackerl und stellt sie auf den Boden. Dann kommen zwei Behälter links und zwei Behälter rechts in das Sackerl, und fertig bin ich zum Aufstehen. Langsam erhebe ich mich vom Bett in der Angst, dass mir gleich ziemlich schwindelig wird. Hoffentlich kippe ich nicht um! Doch glücklicherweise geht es super. Ich gehe also auf die Toilette mit meinen beiden Sackerln – langsam – aber es geht zum Glück alles alleine. Nur die Bewegung des „Putzens“ und das Händewaschen sind ziemlich anstrengend und schmerzhaft…
 
Nach dem Toilettengang steht das Frühstück an meinem Bett. Ja, da steht es nun, ein Tablett voller Frühstück, aber wie soll ich das zu mir nehmen? Wie soll ich mir bloß den Tee einschütten? Oder wie soll ich mir ein Brötchen aufschneiden, geschweige denn schmieren oder belegen? Mir tut zwar gerade nichts weh, aber ich kann meine Arme kaum bewegen oder heben. Zum Glück kommt die Schwester gerade wieder ins Zimmer, die mir jetzt helfen kann. Sie schneidet mir meine Semmel auf, schmiert Butter darauf,  belegt sie mit Wurst, schüttet mir Tee ein und bereitet mein Müsli zu. Jetzt sollte ich aber frühstücken können. Denkste… denn auch hier muss man seinen Arm heben und zum Mund führen, um abbeißen zu können… Aber das ist mir inzwischen eh egal, denn mir ist der Hunger wirklich vergangen! Ziemlich gefrustet lege ich mich wieder hin, lasse mir mein Handy geben, um mich irgendwie abzulenken und warte darauf, dass mein Mann hoffentlich bald kommt.
 
Kurz vor dem Mittagessen ist er endlich da. Er bringt mich immer so zum Lachen, deswegen tut er mir sehr gut. Wir reden über unwichtiges Zeug und lachen viel, als die Schwester mit zwei Infusionen ins Zimmer kommt. Sie freut sich mit uns, dass wir so einen Spaß haben. Als das Mittagessen kommt, bin ich inzwischen echt hungrig. Glücklicherweise kann mich mein Mann jetzt füttern. Viel kann ich zwar nicht essen, aber das ist normal einen Tag nach so einer Operation – sagt zumindest die Schwester.
 
Eigentlich wollte ich heute duschen beziehungsweise mich von meinem Mann waschen lassen. Doch ich fühle mich gerade nicht nach aufstehen. Ich will einfach nur daliegen und mit meinem Mann quatschen. r Nach ein paar Stunden muss er leider wieder gehen, und ich schaue mir eine Serie nach der anderen im Internet an. Da ich mich so gar nicht konzentrieren kann und zwischendurch immer wieder einschlafe, sind Serien der beste Zeitvertreib. Abends kommen mich noch zweimal Freunde besuchen. Ich dachte zwar, dass ich eigentlich niemanden sehen will, wenn ich nur so herumliege und mich schrecklich fühle, doch habe ich mich dann tatsächlich sehr gefreut, als sie herein kamen. Es ist eine tolle Ablenkung, und ich habe gleich jemanden, der mir beim Abendessen helfen kann.
 
Gegen 00.00 Uhr bekomme ich meine letzten Infusionen für heute, danach versuche ich zu schlafen. Obwohl ich tagsüber immer wieder einschlafen kann, gelingt es mir jetzt überhaupt nicht. Mir schwirren komische Gedanken durch den Kopf. Ich habe plötzlich Megaangst, dass ich keinen Sport mehr machen kann. So bewegungsunfähig wie ich derzeit bin, kann ich mir nicht vorstellen, dass ich überhaupt je wieder so beweglich und sportlich sein werde, wie ich es zuvor war. Was mache ich denn, wenn ich danach wirklich irgend welche Einschränkungen habe? Kann ich dann jemals ein eigenes Studio eröffnen? Werde ich wieder richtig unterrichten können? Ich habe mir vorgenommen, das ich meinen Traum leben möchte, nachdem ich das alles hinter mir habe. Wird das überhaupt möglich sein? Oder muss ich meinen Traum hinter mir lassen? Ziemlich schnell mache ich lieber wieder meine Serien an, denn solche Gedanken kann ich gerade gar nicht gut vertragen. Sicherheitshalber verlange ich nach einer Schlaftablette, damit ich hoffentlich irgendwann einschlafen kann.
 
  
Tag 3
Es ist wieder einmal genau 5:30, als ich vor Übelkeit aufwache. Mir ist so schlecht, dass ich mich kaum bewegen kann. Bei jeder Bewegung denke ich, mich gleich übergeben zu müssen. Was ist das denn jetzt? Ich klingel erst einmal nach der Schwester, die mir sofort eine Infusion gegen Übelkeit anhängt. Zum Glück geht es mir bei jedem Tropfen besser. Echt toll, dass es Infusionen gegen Übelkeit gibt☺. Als es mir wieder einigermaßen gut geht, warte ich auf das Frühstück. Leider erfahre ich aber, dass ich heute gar kein Frühstück bekomme, weil die Computertomographie ansteht. Wie soll ich das bloß aushalten, ich habe jetzt schon einen Riesenhunger. Zur Erklärung: Die Computertomographie wird durchgeführt, um zu untersuchen, ob der Krebs vielleicht schon in meine Organe gestreut hat. Sie untersuchen meinen gesamten Thorax und Abdomen.
 
Es ist schon 11 Uhr, als ich von einem Praktikanten abgeholt werde. Er ist eine ziemliche Quatschtante. Die gesamte Zeit, in der ich mich in den Bademantel quäle, meine vier Drainagen in die Sackerln verstaue und mich in den Rollstuhl hinein setze, erzählt er mir Geschichten über seinen Bekannten, der betrunken vom Tisch gefallen ist und sich dann sämtliche Knochen gebrochen hat. Als wir uns dann auf den Weg nach unten machen, hat er schon wieder eine neue Geschichte parat. Im Wartebereich vor dem Behandlungszimmer angekommen, wird er zurück auf die Station geschickt mit der Information, dass man ihn anrufe, wenn er mich wieder holen kann. Doch da seine Geschichte ja noch nicht fertig war, hat er sich zu mir gesetzt, um in Ruhe fertig zu erzählen. Zum Glück holt mich dann aber, mitten in der Geschichte, eine Ärztin für die Computertomographie ab.
 
Mal wieder bekomme ich erst ein Kontrastmittel gespritzt und lege mich dann auf die Liege. Das ist dieses Mal ein ziemlich schwieriges Unterfangen, jetzt, wo ich mich sowieso kaum bewegen kann. Aber mit der Hilfe des Assistenten bekomme ich das irgendwie hin. Nachdem wir alle Schläuche und Behälter meiner Drainagen verstaut haben, werde ich langsam in den Tomographen hineingeschoben. Ich muss ganz still daliegen. Um mich herum dreht sich etwas – diese Mal zum Glück ohne viel Geräusche. Nach circa 5 Minuten ist auch schon alles vorbei. Mit Schmerzen und viel Mühe erhebe ich mich wieder.
 
Als hätte er wirklich die ganze Zeit auf mich gewartet, steht der Praktikant bereits vor der Tür, um mich in mein Zimmer zu bringen und natürlich mir die Geschichte fertig zu erzählen. Wieder in meinem Bett, bekomme ich gleich meine Infusionen mit Schmerzmittel und Antibiotika angehängt. Obwohl ich ja gar nicht viel gemacht habe, war der Ausflug ziemlich anstrengend. Es klopft…. Endlich! Das Mittagessen wird serviert. Glücklicherweise kann ich meine Arme heute schon so weit heben, dass ich meine Suppe selbstständig löffeln kann. Sogar die Hauptspeise kann ich essen, nachdem sie von der Betreuerin meiner Zimmernachbarin klein geschnitten wurde.
 
Nach dem Mittagessen lege ich mich erschöpft nieder, um etwas zu schlafen. Doch leider machen mir die Schmerzen einen Strich durch die Rechnung. Es tut plötzlich alles so weh! Ich setze mich irgendwie im Bett auf, weil ich hoffe, dass es vielleicht besser wird. Doch plötzlich kann ich mich gar nicht mehr rühren. Ich kann weder vor noch zurück, nichts geht mehr. Es fühlt sich an, als bekäme ich keine Luft. Es tut alles so schrecklich weh, dass mir die Tränen nur so die Wangen hinunterlaufen. Ich versuche den Notknopf zu drücken, doch der ist so weit weg, dass es unmöglich ist, ihn zu erreichen. Ich sitze also bewegungsunfähig vor Schmerzen auf dem Bett und weine. Jetzt weiß ich, was meine Ärzte meinten mit: „Es ist kein Zuckerschlecken und die ersten Tage werden sicher ziemlich hart.“ Aber hart ist gar kein Ausdruck! Total hilflos sitze ich da und weiß nicht, was ich machen soll.
 
Glücklicherweise ist die Betreuerin meiner Zimmernachbarin noch da und klingelt für mich nach der Schwester. Als diese endlich da ist, will sie mir zuerst helfen, mich hinzulegen. Doch ich weigere mich. Ich kann mich einfach nicht bewegen, keinen Millimeter. Weinend und ziemlich verzweifelt darf ich dann glücklicherweise so sitzen bleiben, während ich wieder eine neue Infusion mit Schmerzmitteln eingesteckt bekomme. Erst spüre ich keinerlei Verbesserung. Dann nach gefühlten Stunden wird es langsam besser mit den Schmerzen. Mit Hilfe der Schwester, die mir den Notknopf sicherheitshalber in die Hand gegeben hat, kann ich mich wieder hinlegen. Doch aufhören zu weinen kann ich nicht. Wieso weiß ich auch nicht. Es fließen die Tränen einfach so hinunter…
 
Kurze Zeit später sagt mir eine Schwester, dass sie mit meinem Frauenarzt telefoniert hat. Er hat mir eine Psychologin bestellt, und diese wird demnächst bei mir sein, ob ich damit einverstanden bin. Natürlich stimme ich zu, aber ich überlege trotzdem – wieso das jetzt nötig ist. Vielleicht weil ich so geweint habe? Oder ist das normal und sie kommt zu jedem? Mal sehen!!!
 
Mein Mann kommt zur Tür hinein. Ich erzähle ihm alles. Er nimmt mich erst einmal fest in den Arm. Ich bin so froh, dass er da ist. Erst einmal fällt alles von mir ab und schon wieder muss ich weinen. Als ich mich beruhigt habe, kann er mich zum Glück schnell wieder zum Lachen bringen, und ich vergesse erst einmal die schrecklichen letzten Stunden.
 
Als es klopft und die Psychologin hinein kommt, ist mein Mann zum Glück noch da. Gemeinsam sprechen wir über die Geschehnisse und wie es uns geht. Aber ehrlich gesagt, weiß ich nicht wirklich, wie es mir geht. Ich sage der Psychologin zwar, dass alles ok ist, aber wirklich auseinander gesetzt habe ich mich mit dem ganzen Thema seit der Operation nicht wirklich. Klar, ich stecke mittendrin, aber ich habe das Gefühl, dass alles so schnell ging, dass ich dafür noch keine Zeit hatte. Es ist schwierig zu beschreiben. Ich glaube, ich verdränge derzeit auch noch die schlechten Gedanken und Gefühle. Ich kann das ja alles sowieso nicht ändern! Die Psychologin empfiehlt mir, meine Erlebnisse und Gedanken aufzuschreiben, das soll helfen, alles zu realisieren und besser zu verarbeiten. Aber ganz ehrlich! Wieso soll ich das aufschreiben? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das helfen kann.
 
Die Psychologin sagt uns, wie begeistert sie von uns als Paar ist. Das wir glücklich wirken und einen tollen Zusammenhalt haben. Es sei auch nichts Ungewöhnliches, dass Männer ihre Partnerin nach so einer Diagnose verlassen, weil sie beispielsweise mit dem Gedanken nicht klar kommen, dass die Brüste abgenommen werden – auch wenn diese rekonstruiert werden. Das schockt mich zugegebenermaßen. Was sind das für Männer, die so oberflächlich sind?!?! Ich bin jedenfalls froh, dass ich meinen Mann an meiner Seite habe und sich das hoffentlich auch nicht ändert. Andererseits muss ich gestehen, dass ich mir auch große Sorgen mache, wie mein Mann mit der ganzen Situation umgeht. Ob er mich mit riesigen Narben und Silikon in den Brüsten überhaupt noch lieben kann? Es macht mir Angst, weil ich ja selbst nicht weiß, wie ich damit umgehen soll! Ich konnte ja auch noch nicht einmal unter den Verband schauen! Ich selbst bin zwar nicht so ein „Brüste“ Typ. Ich bin eher ein „Po“ Typ und habe mir noch nie viele Gedanken über meine Brüste gemacht. Ich erzähle das alles der Psychologin, die mir erklärt, dass es eben seine Zeit dauert, alles zu realisieren und zu verarbeiten. Aber ich dürfe nicht die Augen verschließen vor negativen Gefühlen und Ängsten, denn das sei nicht die richtige Art, damit umzugehen, sonst holt es mich irgendwann einmal ein.
 
Als die Psychologin gegangen ist, reden wir noch einige Zeit über alles eben Besprochene. Ich beichte meinem Mann, dass ich schon schreckliche Angst davor habe, wenn heute Abend der Verband abgenommen wird, und ich mich das erst Mal im Spiegel ansehe. Wenn ich das erste Mal meine „Brüste“ sehe oder eher gesagt, das, was davon übrig ist. Da meine Ärztin im Ausland ist und erst gegen 21 Uhr in Wien landet, wird es heute sicherlich spät bis sie kommt. Ich bin schon ziemlich aufgeregt, was mich da später erwartet. Ich habe natürlich schon versucht, unter den Verband zu schauen, doch leider ist dieser so eng, dass man nichts sehen kann.
 
Kurz nachdem mein Mann weg ist, kommt mich eine Freundin besuchen. Ich merke, wie gut mir die Ablenkung von Freunden tut. Die sind irgendwie anders in ihrem Denken als die Familie. Vielleicht weil sie sich nicht so große Sorgen machen oder weil sie nicht so tief involviert sind. Ich erzähle ihr, dass meine Psychologin mir geraten hat, alles aufzuschreiben. Ich bin jedoch skeptisch. Erstens glaube ich nicht, schreiben zu können und zweitens kann ich mir nicht vorstellen, dass es hilft. Aber auch sie ermutigt mich, es doch einfach einmal auszuprobieren. Hmmmmm, ich werde den Gedanken einmal reifen lassen, vielleicht ändert sich meine Meinung ja noch.
 
Am Abend lasse ich mir gleich das Abendessen von der Schwester klein schneiden, damit ich es essen kann. Ich habe zwar das Gefühl, dass ich beweglicher werde, aber wenn ich genau darüber nachdenke, ist das nur der Fall, wenn ich viel Schmerzmittel intus haben. Wegen des Vorfalls heute, bekomme ich jetzt sogar eine Infusion mehr als vorher. Das heißt, ich bekomme nun viermal am Tag zwei Infusionen Schmerzmittel und eine Infusion Antibiotika.
 
Endlich ist es 22 Uhr. Ich warte gespannt auf die Ärztin. Um 22:30 Uhr habe ich auch noch Hoffnungen, dass sie bald kommt. Damit die Zeit schneller vergeht, lenke ich mich mal wieder mit meinen Serien ab. Meine Mutter fragt auch schon die ganze Zeit, ob die Frau Doktor schon da war. Vielleicht hat der Flug Verspätung und sie kommt gar nicht mehr? Um 23 Uhr habe ich dann völlig die Hoffnung aufgegeben und bin ziemlich geknickt. Die ganze Aufregung war also umsonst. Der Verband bleibt wohl dran.
 
Es ist 23:30 Uhr, als es leise an der Tür klopft und meine Ärztin das Zimmer betritt. Ich sage ihr natürlich, dass ich nicht dachte, dass sie noch kommt. Wohingegen sie mir klar macht, dass sie es mir doch versprochen habe und es dann auch sicher einhält. Sie hilft mir, mich aufzusetzen. Dann kommt die Sekunde der Wahrheit. Sie entfernt den Verband, und ich sehe von oben das erste Mal, was da unten so los ist. Es ist wirklich alles weg bis auf die Brustwarzen. Alles ist ganz flach. Ich bin zwar sehr glücklich darüber, dass die Brustwarzen dran bleiben konnten, aber ich bin trotzdem „verständlicherweise“ geschockt über das Nichts. Außerdem sieht meine linke Brustwarze gar nicht gut aus – alles ist verkrustet und verklebt. Es sieht aus wie eine riesige Schürfwunde.
 
Sie begleitet mich zum Spiegel, wo ich das ganze Ausmaß sehe. Ich muss schlucken. Lange kann ich nicht hinschauen. Ich will einfach nur schnell wieder ins Bett. Sie beruhigt mich, dass durch die Auffüllung der Expander ganz schnell wieder Volumen da sein wird. So wird es ja nicht bleiben und ich kann mir sicher sein, dass sie die Brüste wieder ganz schön machen wird. Ich solle mir auch keine Sorgen um meine linke Brustwarze machen, die wird sicher auch wieder ganz verheilen. Ich bin natürlich skeptisch. Ich habe mir im Vorfeld zwar viele Bilder von amputierten Brüsten und Narben im Internet angesehen. Es ist jedoch etwas völlig anderes, wenn man die eigene flache Brust und die eigenen riesigen, mindestens 15 cm langen Narben in den Brustfalten sieht. Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, das meinem Mann zu zeigen, wenn ich das selbst nicht einmal ansehen möchte.
 
Ich frage sie, warum die ganze Prozedur denn so schmerzhaft ist, ob das bei „normalen“ Brustvergrößerungen auch so sei. Ich habe auch so viel mehr Schmerzen in der rechten als in der linken Seite, obwohl der Krebs doch in der linken Seite war. Wieso ist das so? Bin ich wehleidig? Sie klärt mich auf, dass durch die komplette Entnahmen des Drüsengewebes, von vorne herein mehr Schmerzen entstehen als es bei eine „normalen“ Brustvergrößerung der Fall ist. Bei mir ist der rechte Brustmuskel durch meinen Sport auch noch so viel stärker als der Linke. Sie hat ziemlich schuften müssen und viel Arbeit damit gehabt, meinen rechten Muskel zu lösen, um dann eine Tasche für den Expander zu machen. Das ist der Grund, warum ich mehr Schmerzen in der rechten Seite spüre. Aber grundsätzlich ist eine Mastektomie kein Spaziergang für den Körper und die Seele. Durch die ganzen Wunden enstehen die schlimmen Schmerzen, die leider auch noch eine Weile anhalten werden. Der Heilungsprozess dauert eben seine Zeit, aber ich soll nicht leiden und könne jederzeit Schmerzmittel dagegen einnehmen.
 
Zuletzt sprechen wir noch über die Hochzeit meines Bruders. Ich frage, ob sie denkt, dass wir hinfahren können. Sie ist sich ziemlich sicher, dass bis dahin die Wundflüssigkeit aufhört zu laufen und ich fahren kann. Darüber bin ich sehr glücklich. Wenn ich ehrlich bin, vermisse ich meine Tochter schon so sehr. Ich war noch nie so lange von ihr getrennt. Außerdem bin ich dann einfach nur froh, endlich bei meiner Familie zu sein – dann können die mich pflegen.
 
 
Tag 4
Heute Morgen fühle ich mich ziemlich groggy, als sei ich feiern gewesen. Das liegt wohl am Schlafentzug. Es ist wieder Mal erst 5:30 Uhr, als ich die Augen aufschlage. Nach dem Besuch der Schwester um 6 Uhr, schaffe ich es zum Glück wieder einzuschlafen bis das Frühstück und die Infusionen kommen. Während ich so daliege und die Tropfen der Infusion beobachte, bin ich ziemlich traurig, weil ich daran denken muss, dass ich heute nicht bei der standesamtlichen Trauung meines Bruders und seiner zukünftigen Frau dabei sein kann. Gott sei Dank kann Emma mit meinen Eltern daran teilnehmen. Ich bekomme wunderschöne Bilder und Videos geschickt und freue mich mit. Ich wäre so gerne dabei gewesen.
 
Das Frühstück wird serviert, aber ich kann es wieder mal nicht essen. Aber nicht, weil ich nicht darf, sondern weil mein „Lieblingspraktikant“ mich wieder einmal für eine Untersuchung abholt . Dieses Mal steht ein Knochenscan an – auch Ganzkörperknochenszintigraphie genannt. Die wird durchgeführt, um auszuschließen, dass sich irgendwo in meinen Knochen Metastasen gebildet haben. Dieses Mal fällt es mir schon leichter, meinen Bademantel anzuziehen – da fällt mir jedoch auch gleich ein, dass ich ja mehr Schmerzmittel bekomme als gestern noch. Ob das auch der Grund dafür ist? Ich will mir gar nicht vorstellen, wie ich mich ohne Schmerzmittel fühlen würde.
 
Mit netten Geschichten meines „Lieblingspraktikanten“ werde ich mal wieder im Rollstuhl nach unten geschoben. Dieses Mal sind es sogar sehr amüsante Geschichten. Im Behandlungszimmer angekommen, wird mir dieses Mal sogar eine radioaktive Substanz gespritzt. Ich darf heute keinen Kontakt mehr zu Kindern oder Schwangeren haben. Jetzt leuchte ich sicher im Dunkeln ☺. Ist wohl nicht „ganz ohne“ diese Spritze. Aber egal, Hauptsache es können weitere Tumore bzw. Metastasen ausgeschlossen werden. Die radioaktive Substanz muss sich nun erst einmal 2 Stunden im Körper verteilen, und ich soll 2-3 Liter Wasser trinken, bevor der eigentliche Scan durchgeführt werden kann. Also werde ich wieder, mit lustigen Geschichten, in mein Zimmer gebracht und kann endlich frühstücken.
 
Als ich noch den letzten Bissen im Mund habe, klopft es an der Tür und es stellt sich ein Neurologe vor, der zu mir möchte. Er setzt sich, und wir kommen ziemlich schnell zum Thema Schmerzen, Medikamente und Schlafprobleme. Ich mache mir nämlich etwas Sorgen über die ganzen Schmerzmittel, die ich eingeflößt bekomme und ob das schädlich ist bzw. ob das süchtig machen kann. Er beruhigt mich. Ich soll keine Schmerzen haben, also kann ich jetzt, so kurz nach der Operation, so viele Medikamente nehmen, wie nötig sind. Heutzutage muss man nicht „leiden“. Nach dem Krankenhausaufenthalt ist es dann wichtig, dass ich nichts mehr nehme, bzw. nur wenn ich wirklich Schmerzen habe. Er schlägt vor, dass ich von den starken Mitteln zu den Leichten wechsle bis hin zu keinen Mitteln mehr. Jetzt bin ich schon etwas beruhigter. Erst zuhause wird es sich zeigen, wie es mir so geht und ob ich noch viele Medikamente einnehmen muss. Ich frage ihn auch, warum ich trotz Schlafmittel nicht schlafen kann? Wirken die bei mir nicht? Schlafmittel habe ich bisher nie gebraucht, weil ich mit Schlafen wirklich nie Probleme hatte. Aber warum ich im Krankenhaus kein Auge zubekomme, kann er mir auch nicht wirklich erklären. Er vermutet, dass es ganz einfach an den Umständen liegt. Er schreibt mir alles noch einmal auf, was wir besprochen haben und gibt mir seine Kontaktdaten. Genauso schnell wie er kam, ist er auch schon wieder weg.
 
Heute ist hier ziemlich viel los. Es ist ein Kommen und Gehen in meinem Zimmer. Ärzte besuchen meine Zimmernachbarin und mich, Schwestern kommen mit vielen Anliegen, die Zimmer werden gründlich geputzt und Besuch geht ein und aus. Hat was von Kino ☺. Aber ich genieße die Ablenkung. Kurz vor dem Mittagessen werde ich dann endlich zum Scan gebracht. Ich muss ziemlich dringend auf die Toilette nach dem vielen getrunkenen Wasser und hoffe nur, dass alles ganz schnell geht. Das Gerät sieht ähnlich aus wie ein Computertomograph. Ich muss mich wieder einmal auf eine Liege quälen und darf mich auch, wie soll es anders sein, nicht bewegen. Mein Kopf wird sogar festgeschnallt. Der Scan dauert dann nur circa 5 Minuten. Danach kann ich zurück auf mein Zimmer, wo mein Mittagessen und meine drei Infusionen schon bereit stehen – doch zuerst gehe ich mal auf die Toilette, die 3 Liter Wasser loswerden.
 
Die Infusionen habe ich wieder einmal dringend nötig, denn schon wieder merke ich diese ätzenden Schmerzen. Ich merke das immer daran, dass ich mich nicht mehr richtig im Bett abstützen kann, um mich aufzusetzen. Es sticht im Oberkörper und ich bekomme kurz keine Luft mehr. Dann liege ich mehr oder weniger wie eine Schildkröte im Bett und kann nicht viel machen bis die Schmerzmittel wirken. Es ist schon unheimlich, so hilflos zu sein. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich in meinem Leben jemals so gefühlt habe – vielleicht als Säugling, aber das weiß ich glücklicherweise nicht mehr.
 
Dann klopft es, mein Mann kommt zur Tür herein – endlich ❤. Ich bin immer so froh, wenn ich ihn in meiner Nähe habe und er mich zum Lachen bringt. Ich erzähle ihm von meinem ziemlich anstrengenden und aufregenden Tag. Ich merke jedoch, dass er mit seinen Gedanken irgendwie woanders ist. Er muss nämlich leider heute Abend noch bis Montag ins Ausland, das heißt, ich sehe ihn drei Tage nicht. Wie ich das aushalten soll, weiß ich noch nicht. Denn jetzt, wo ich im Krankenhaus liege, bin ich ziemlich anhänglich und brauche doch eigentlich die Ablenkung. Da ich mich ungern in der Zeit seiner Abwesenheit von den Schwestern duschen bzw. waschen lassen will, hilft er mir heute noch einmal unter der Dusche. Bis Montag muss dann eine Katzenwäsche reichen, das bekomme ich sicher alleine hin.
 
Als ich wieder alleine bin, schlafe ich vor Erschöpfung sofort ein und wache erst Stunden später wieder auf als das Abendessen gebracht wird. Jetzt wo ich so lange geschlafen habe, kann ich sicher wieder in der Nacht nicht schlafen. Etwas verärgert darüber, löffle ich meine Suppe in mich hinein. Nach dem Abendessen, meinen drei Infusionen und der Thrombosespritze habe ich nur langweilige Serien gesehen und wie ich es mir schon gedacht habe, bin ich so gar nicht müde. Als ich dann um 00:00 Uhr wieder meine drei Infusionen gebracht bekomme, bin ich richtig froh über die Ablenkung – auch wenn ich es nur Tropfen sehe. Irgendwie geht es mir trotz laufender Infusion gerade gar nicht gut. Ich habe wieder so starke Schmerzen. Sehr merkwürdig! Ich rufe die Schwester und klage ihr mein Leid. Sie verschwindet kurz im Schwesternzimmer und empfiehlt mir, nach Rücksprache mit meinem Frauenarzt, dass ich eine Schmerzspritze bekomme, die mich auch gut schlafen lässt. Dem stimme ich natürlich sofort zu und tatsächlich, gefühlte 10 Minuten später weiß ich nichts mehr.
 
 
Tag 5
Ich wache auf, als mein Frühstück gebracht wird. Tatsächlich! Ich habe tief und fest geschlafen – schon fast wie ausgeknockt. Ich habe weder mitbekommen, dass die Schwester nachts im Zimmer war noch habe ich das unbequeme Bett gespürt. Ich fühle mich richtig ausgeruht. Ich frühstücke gut, dann kommen die Infusionen. Etwas geknickt, dass heute mein Mann nicht kommen wird, schreibe ich ihm wenigstens ein paar Nachrichten.
 
Da ich nun schon ewig meine Haare im Zopf trage, mega fettige Haare habe und wegen der Hitze draußen (39 Grad) sehr viel schwitze, frage ich die Schwester, ob es einen Hausfriseur gibt. Ziemlich erfreut, als hätte sie nur auf diese Frage gewartet, berichtet sie mir, dass sie gerade ein portables Friseurwaschbecken bekommen haben und sie sich freuen würde, das an mir auszuprobieren. Gesagt getan, kommt sie kurze Zeit später mit dem Waschbecken und einer Praktikantin zurück. Wir quetschen uns also alle drei ins kleine Badezimmer, wo mir die Haare gewaschen werden. Danach fühle ich mich wie ein neuer Mensch. Und die Abwechslung hat mir auch sehr gut getan.
 
Heute ist schon der 5. Tag, und ich liege immer noch hier herum und bin nicht wirklich beweglicher geworden. Aber was habe ich mir gedacht? Ich erkenne, ich muss mich etwas von dem Gedanken lösen, dass ich hier fit aus dem Krankenhaus heraus laufen werde. Es wird mir sicher noch länger ab und an schlecht gehen. Ich merke, jetzt, wo ich hier so herumliege und nachdenke, dass ich mich irgendwie mit dem ganzen Thema auseinandersetzen muss. Immer wieder schießen mir Dinge in den Kopf, die ich versuche, nicht weiter zu denken. Ich beschäftige mich oft damit, warum ich Krebs bekommen habe, aber wie ich mit dem Thema gut umgehe, weiß ich noch nicht so ganz. Ob es daran liegt, dass ich Dinge gerne verdränge, bzw. nicht gerne darüber rede? Vielleicht sollte ich ja wirklich mal alles aufschreiben – vielleicht hilft es ja wirklich. Jedem, dem ich davon erzählt habe, hat mich dazu ermutigt. Aber jetzt noch nicht! Ich bin noch nicht bereit dazu. Ich brauche dafür noch eine Weile.
 
Ich schlafe, als mein Frauenarzt herein kommt. Er weckt mich und beginnt, mich ausführlich über die Operation aufzuklären. Unter anderem sagt er mir, dass unter den Brustwarzen keine Veränderungen des Gewebes zu sehen waren, sie deswegen auch nicht entfernt werden mussten. Am Montag erwartet er den histologischen Befund des Lymphknotens, die Testergebnisse der Computertomographie sowie des Knochenscans. Das heißt ich erfahre dann auch endlich, ob ich mich einer Strahlentherapie unterziehen muss oder nicht. Da fühle ich, wie mir heiß wird vor Aufregung. Ich hoffe so sehr, dass ich mir das ersparen kann! Wir werden sehen!
 
Ich frage meinen Doc noch, ob ich rechtzeitig zur Hochzeit meines Bruders entlassen werde kann. Leider kann er mir dazu noch keine Auskunft geben. Da noch ziemlich viel Wundflüssigkeit aus meinen Drainagen fließt, sieht es derzeit nicht so gut aus. Ich werde noch verrückt, vielleicht sollte ich die Reise gleich ganz vergessen. Andererseits sind es noch 7 Tage. Ich sollte mich einfach entspannen und abwarten, denn egal wie es ausgeht, ändern kann ich ja sowieso nichts.
 
Nach dem Mittagessen bekomme ich meine Infusion angesteckt. Irgendetwas stimmt da aber nicht. Es tropft zwar oben von der Flasche in den Schlauch, aber anders als sonst entwickelt sich eine riesige, große Beule in meiner Armbeuge. Es sieht aus wie ein kleiner aufgeblasener Luftballon, der jeden Moment platzt. Ich rufe lieber mal die Schwester. Als sie meinen Arm sieht, stoppt sie sofort die Infusion. Sie erklärt mir, dass die angezapfte Vene, wohl keine Lust mehr auf Infusionen hat. Es war schon die ganze Zeit so, dass die Tropfen nicht mehr so richtig reinlaufen wollten. Jetzt aber hat die Vene ganz dicht gemacht und die Infusion läuft einfach nur in meinen Arme hinein. Es sieht echt unheimlich aus, aber sie beruhigt mich, dass sich die Flüssigkeit schnell von alleine wieder abbaut. Jetzt soll ich auf die diensthabende Ärztin warten, die mir einen neuen Zugang legt.
 
Erst eine Stunde später kommt eine Ärztin. Es wird auch höchste Zeit, dass ich den Zugang bekomme, denn ich spüre wieder diese lähmenden Schmerzen. Ich hoffe wirklich, dass die bald mal weniger zu spüren sind – auch ohne Schmerzmittel. Aber davon kann ich wohl erstmal nur träumen. Die Ärztin sieht grimmig aus und macht den Eindruck, als hätte sie nicht so einen guten Tag heute. Und mein Eindruck bestätigt sich. Sie sticht geschlagene dreimal in verschiedene Stellen meines Arms, um eine Vene zu finden. Und jedes Mal haut sie die Nadel so in meinen Arm, dass ich aufschreien könnte vor Schmerzen. Ich bin wirklich nicht wehleidig, doch das ist eine fiese Angelegenheit, und ich muss die Zähne zusammen beißen, um sie nicht zu fragen, ob sie noch ganz dicht ist.
 
Mit neuem Zugang bzw. einer gut tropfenden Infusion im Arm kann ich mich dann irgendwann ein bisschen entspannen. Noch dazu wurde meine Zimmernachbarin entlassen, das heißt, ich habe heute das Zimmer für mich alleine. Das nutze ich auch gleich aus und schaue mir endlich einmal wieder ohne Kopfhörer einen Film an – ganz laut! Jetzt bin ich wirklich entspannt. Wie mich die kleinen Dinge des Lebens manchmal glücklich machen können ☺
 
 
Tag 6
6 Tage bin ich jetzt schon hier. Ich habe das Gefühl, dass ich mich bald wund liege. Außer auf die circa einen Meter entfernte Toilette gehe ich nirgendwo hin. Ich muss aber auch gestehen, dass ich mich noch nicht fit genug fühle, in den Garten oder die Cafeteria zu laufen. Ich merke immer wieder, wie schwer ich akzeptiere, dass ich mich wenig bewegen kann und mein Körper von jedem „Pups“ total erschöpft ist. Eigentlich bestimme ich gerne, was mit meinem Körper passiert. Jetzt jedoch macht mein Körper mit mir, was er will.
 
Heute bin ich ziemlich deprimiert. Ich realisiere, dass manche „sehr guten“ Freunde nicht für mich da sind, wenn es wirklich darauf ankommt und ich sie wirklich brauche. Ich selbst denke von mir, immer alles für meine Freunde zu geben. Da ist es doch verständlich, dass ich auch etwas zurück haben möchte, wenn es mir schlecht geht. Zum Glück sind das zwar nur Ausnahmen, aber es tut in der jetzigen Situation besonders weh.
Um ein Beispiel zu nennen. Ich liege hier im Krankenhaus, mache die schlimmsten Momente meines Lebens durch und meine Freundin fährt kurzerhand einfach mal in den Urlaub. Sie kommuniziert kaum mit mir und fragt nicht wirklich, wie es mir geht. Ich bin mir sicher, dass sie auch ihre Gründe hat für ihr Verhalten. Es ist sicher auch nicht leicht zu hören, dass die Freundin an Krebs erkrankt ist. Aber wenn ich in ihrer Situation gewesen wäre, könnte ich ihr das nicht antun. Einfach so abhauen. Einige Freunde, die wirklich weit weg wohnen und nicht kommen können, sind mir näher. Sie geben mir mit ihrem ständigen Interesse das Gefühl, jederzeit für mich da zu sein. Aber gut, das sind wohl die Lehren des Lebens, die man so akzeptieren muss.
 
Gegen 14 Uhr kommt meine Ärztin nach mir sehen, bevor sie in den Urlaub fährt. Das würde ich jetzt auch gerne machen☺. Freudig erzählt sie mir, dass sie zwei der vier Drainagen ziehen möchte. Ui, jetzt habe ich Angst. Das tut sicher weh! Ich werde zwar beruhigt, bleibe aber skeptisch. Sie schneidet die Nähte auf, dann soll ich tief einatmen, dann kräftig ausatmen. Und tatsächlich, ohne Schmerzen verursacht zu haben, hat sie die erste Drainage in der Hand. Jetzt noch die andere Seite. Ich bin ich wirklich sehr dankbar, jetzt nur noch zwei in mir zu haben. Bei jeder Bewegung spürt man die Dinger und man muss ständig aufpassen, dass sich die Schläuche nicht verheddern.
 
Danach sieht sie sich noch die linke Brustwarze an. Ich persönlich finde ja, dass sie so aussieht, als würde sie bald abfallen. Ganz verkrustet und voller Schorf. Aber meine Ärztin sagt, es sieht alles gut aus. Sollte die Brustwarze wirklich abfallen, würde sie sie rekonstruieren und tätowieren… Ich brauche einige Sekunden, um das zu realisieren. Was hat sie gerade gesagt? Jetzt bin ich ziemlich geschockt! Ich dachte, das Thema sei durch, und ich kann meine Brustwarzen behalten. Jetzt aber höre ich, dass sie abfallen kann?!? Und wie? Einfach abfallen? Liegt die dann einfach im Shirt? Ich schlucke den Kloß in meinem Hals einfach hinunter. Das ist wieder einmal etwas, das ich sowieso nicht ändern kann.
 
Sie möchte genau wissen, wie es mir heute geht, ob ich noch viele Schmerzen habe und wie ich schlafe. Ich klage ihr mein Leid. Sie fragt, ob ich Morphium bekommen will, denn damit kann ich sicher schlafen, mein Körper braucht den Schlaf, um sich zu erholen. Ich lehne dankend ab. Morphium, das brauche ich wirklich nicht! Ich sage ihr aber, dass ich gerne das Mittel bzw. die Spritze von vorletzter Nacht bekommen möchte. Damit konnte ich bestens schlafen und hatte auch keine Schmerzen. Sie lacht mich an und sagt: „Ja liebe Theresa, das war Morphium!“ Etwas überrascht stimme ich dann doch zu, dass ich heute Abend noch einmal so eine Spritze bekomme. Tiefschlaf kann ich wirklich gut gebrauchen!
 
Zu guter Letzt besprechen wir den Zeitplan bezüglich der Auffüllung der Expander. Geplant ist, die nächsten 2-3 Monate die Expander erst einmal mit Flüssigkeit aufzufüllen. Und wenn diese ganz gefüllt sind, dann erst planen wir die nächste Operation. Es kommt da auch ein bisschen darauf an, wie ich die Auffüllungen vertrage, wie viel wir jeweils einfüllen können und ob ich Schmerzen bekomme. Plötzlich bin ich ganz aufgeregt und freue mich schon so sehr, dass es bald wieder aufwärts geht und ich neue Brüste haben werde. Derzeit kann und will ich mich gar nicht wirklich im Spiegel ansehen. Meine Ärztin nimmt mich in den Arm und versichert mir, dass alles gut werden wird. Sofort könnte ich wieder anfangen zu weinen. Dann verabschiedet sie sich in den Urlaub und sagt, ich könne sie jederzeit kontaktieren.
 
 
Tag 7
Die Nacht war richtig super. Ich habe sage und schreibe 8 Stunden geschlafen. Ein Traum! Ich fühle mich das erst Mal so richtig ausgeschlafen. Deswegen beschließe ich auch gleich einmal, dass ich heute das erste Mal in den Garten möchte. Mein Mann ist extra schon gestern Nacht aus dem Ausland zurück gefahren, um heute schon ganz früh bei mir zu sein. Ich freue mich schon riesig, ihn gleich in die Arme schließen zu können und ihm von meinen Plänen zu berichten. Noch dazu bin gerade so aufgeregt und hibbelig, weil ich heute alle Testergebnisse bekommen soll.
 
Als mein Mann zu Tür hinein kommt, sage ich ihm gleich, dass ich nach meinen Infusionen in den Garten möchte. Gesagt getan. Ich ziehe meinen Bademantel und Hausschlappen an und verstaue meine Drainagenbehälter in meinen Manteltaschen. Sieht zwar nicht so lecker aus, wenn die Schläuche, rot gefüllt, aus meinen Taschen hängen, aber ich muss ja keinen Schönheitswettbewerb gewinnen.
 
Im Garten ist es ziemlich heiß. Trotzdem genieße ich die Ablenkung. Nachdem wir kurze Zeit spazieren waren, fühle ich mich bereits als hätte ich gerade einen Marathon bestritten und muss mich erst einmal hinsetzen. Nach so langem Liegen bin ich jetzt nach 5 Minuten laufen schon wieder komplett erschöpft und nass geschwitzt. Das ist echt deprimierend, aber nochmal: Ich muss mir eben Zeit geben und Geduld haben!
 
 
Wieder zurück im Zimmer, will ich so nass geschwitzt wie ich bin, sofort duschen bzw. gewaschen werden. Zum Glück nimmt mein Mann das in die Hand, und weil wir ja inzwischen geübt darin sind, funktioniert das super und wir sind schnell fertig. Jetzt bin ich plötzlich so müde, dass ich während des Gesprächs mit meinem Mann fast einschlafe. Er merkt das natürlich, sagt, er habe eh genug zu tun und geht leise aus dem Zimmer.
 
Ich werde geweckt, weil ich eine neue Zimmernachbarin bekomme. Ziemlich laut rumpeln Schwestern, Ärzte und die „Neue“ ins Zimmer. Mir geht es gar nicht gut, was ich auch gleich der Schwester erzähle. Diese zückt kurzerhand ein Fieberthermometer und einen Blutdruckmesser. Der Blutdruck ist erhöht, und ich habe 39,3 Grad Fieber. Was soll das denn jetzt? Heute Morgen ging es mir doch so gut. Und jetzt habe ich so hohes Fieber? Das muss wohl an der Anstrengung vom Spazierengang liegen. Ich bekomme sofort eine Infusion gegen das Fieber angehängt, doch leider tropft kein einziger Tropfen in mich rein. Die Vene ist mal wieder dicht.
 
Ich befürchte schon, dass wieder so eine „Henkersärztin“ kommt und mich mit einer Nadel malträtiert. Das mache ich nicht mit! Dann streike ich! Kurze Zeit später kommt ein Arzt hinein, nimmt mir den bestehenden Venenzugang ab und setzt mir einen neuen Zugang. Einfach so – ohne viel Schmerzen oder Venensuchen. Geht doch! Er nimmt mir noch 4 Röhrchen Blut ab, bevor er alles festklebt und die Infusion gegen Fieber dranhängt. Es scheint so, als habe ich mir heute wirklich zu viel zugemutet. Mein Körper streikt einfach und zeigt mir meine Grenzen auf.
 
Es ist schon 20:30 Uhr als mein Doc kommt. Endlich. Ich platze schon vor Aufregung, denn seine Aussagen werden gleich mein zukünftiges Leben bestimmen. Er lächelt mich an und sagt, dass alles sehr gut aussieht und ich mir keine Sorgen machen soll. Der histologische Befund beweist, ich hatte ein invasiv duktales Mammakarzinom, dass hormonabhängig gewachsen ist. Das heißt, der Tumor wurde durch die weiblichen Geschlechtshormone zum Wachsen angeregt. Ich habe keine Lymphgefäßinvasion (L0), keine Veneninvasion (V0), kein Residualtumor (R0) und keine regionären Lymphknotenmetastasen (N0). Das heißt soviel wie, mein Lymphknoten etc. sind frei von Krebs. Das bedeutet für mich glücklicherweise, dass ich mich keiner Strahlentherapie unterziehen muss. Auch die Annahme der Ärzte, dass ich keine Chemotherapie benötige, bestätigt sich mit den Werten G2, Ki-67 10%. Mir fällt wirklich ein Felsbrocken vom Herzen. Ich hatte solche Angst vor den Therapien. Ich habe bei meiner Mutter gesehen, wie anstrengend die Strahlentherapie sein kann und welche Auswirkungen sie auf den Körper hat.
 
Zu den anderen Untersuchungen gibt es auch nur Gutes zu sagen. Mein Knochenscan ist negativ, das heißt, es wurden keine Metastasen in meinen Knochen gefunden. Also hat der Krebs noch nicht in meine Knochen gestreut. Und zu guter Letzt ist auch meine Computertomographie-Untersuchung unauffällig. Das bedeutet es wurden auch keine Metastasen in meinen Organen festgestellt. Das sind wirklich mal gute Nachrichten! Ich bin so glücklich, dass ich bis über beide Ohren grinsen muss.
 
Natürlich hat diese Geschichte auch ein großes ABER. Ich werde nämlich ab September damit anfangen müssen, mir alle drei Monate die Spritze Trenantone verabreichen zu lassen. Die hemmt die Bildung von meinen Geschlechtshormonen. Das bedeutet für mich im Klartext, dass ich künstlich in die Wechseljahre versetzt werde. Das heißt natürlich, dass mich auch die Symptome der Wechseljahre heimsuchen können, wie Übelkeit und Erbrechen, Kopfschmerzen, Hitzewallungen oder Stimmungsschwankungen u.s.w. Noch zusätzlich werde ich täglich Tamoxifen einnehmen müssen, dessen Nebenwirkungen Erschöpfung, Müdigkeit, Flüssigkeitsretention, Hautausschläge, Hitzewallungen, Übelkeit u.s.w. sein können. Das ist die sogenannte Antihormontherapie, der ich mich unterziehen muss. Tamoxifen hemmt die Östrogenrezeptoren und stimuliert die Rezeptoren von dem Hormon Progesteron. Das heißt der Wirkstoff blockiert diese Hormonrezeptoren und damit das Wachstum der veränderten Zellen, wenn irgendwo im Körper noch welche sein sollten. Das sind die Gründe dafür, dass ich nicht schwanger werden kann.
 
Natürlich habe ich das Thema Hochzeit meines Bruders noch nicht ganz abgehakt. Wie auch schon meine Ärztin, frage ich auch meinen Doc, ob er mich nach Deutschland fahren lässt. Leider bekomme ich wieder die Antwort, die ich eigentlich nicht hören will. Die Drainagen können erst entnommen werden, wenn minimal viel Flüssigkeit nachläuft. Im Moment sieht es jedoch noch nicht so aus, als könnten sie morgen schon raus. Also beschließt er übermorgen wieder zu kommen, da ist die Chance, dass sie gezogen werden können schon höher.
 
Als ich wieder alleine bin, teile ich die guten Nachrichten natürlich sofort meinem Mann und meinen Eltern mit. Die Erleichterung ist bei allen sehr groß. Ich bin zwar wirklich ziemlich frustriert über die Tatsache, dass mir keiner sagen kann, ob ich zur Hochzeit fahren kann oder nicht. Aber im Großen und Ganzen sollte ich doch einfach dankbar sein, für die positiven Ergebnisse.
 
 
Tag 8
Neuer Tag neues Glück. Ich fühle mich richtig gut über die Nachricht, dass ich keine Strahlentherapie durchführen muss. Das entspannt mich enorm. Klar diese Antihormonsache wird sicher auch kein „Kindergeburtstag“ werden, aber ich fühle mich trotzdem mit dem Gedanken besser, eine Hormon- statt einer Strahlentherapie machen zu müssen. Entspannt bin ich auch, weil ich heute dank der Morphiumspritze wieder ohne Schmerzen, sehr lange und hervorragend geschlafen habe. Trotzdem beschließe ich, dass ich ab sofort keine dieser Spritzen mehr bekommen möchte. Ich habe zu viel Respekt davor. Ich meine, das ist immerhin Morphium. Und wenn ich das so gut finde und mich so gut fühle, ist mir das unheimlich.
 
Trotz des Fieberschubs gestern Nachmittag bin ich wieder fit genug, um im Garten etwas spazieren zu gehen. Als mein Mann und ich so dasitzen und reden, erzählt er mir, dass er bei McDonald’s einen Burger gegessen hat. Wie er das übrigens jeden Tag macht, seitdem ich im Krankenhaus bin. Da habe ich plötzlich so ein Heißhunger auf FastFood und flehe ihn an, mir auch ein Menü zu besorgen. Ich habe zwar letztendlich nur ganz wenig essen können, aber die Befriedigung meiner Gelüste hat mich doch ziemlich glücklich gemacht☺.
   
 
Der Rest vom Tag verläuft ziemlich langweilig. Ich liege im Bett, habe inzwischen alle interessanten Serien durchgeschaut und weiß nicht mehr, was ich sonst noch so machen kann. Ich tue also das einzig sinnvolle. Ich schlafe. So kann ich auch meinen FastFood verdauen. Dafür braucht mein Körper bestimmt ganz viel Energie.
 
Spät am Abend als ich mich umziehe, passiert es dann. Mir klebt ein ziemlich großes Stück Brustwarze?, Haut?, Schorf? am Shirt. Ich schaue es mir ganz genau an. Es ist tatsächlich ein riesen Stück abgefallen. Mit meinem Handy mache ich ein Foto von der Stelle, damit ich sie besser sehen kann. Was soll ich sagen? Es sieht nicht so lecker aus. Wie eine offene Schürfwunde mit Eiter und Blut. Mir wird schlecht. Ziemlich panisch schreibe ich meiner Ärztin, was passiert ist und wie das jetzt behandelt werden soll. Gespannt warte ich auf die Antwort. Sie hatte mich zwar bereits vorgewarnt, dass sowas passieren kann. Aber tatsächlich etwas in der Hand zu halten, fühlt sich unbeschreiblich scheiße an. Erst konnte die Brustwarze erhalten werden und dann fällt sie einfach ab? Irgendwie kommt jeden Tag etwas neues, mit dem ich zurecht kommen muss…
 
Da fällt mir auch gleich wieder das Thema Hochzeit ein, das mich ziemlich beschäftigt. Es hieß ja, ich solle circa 4-7 Tage hier bleiben und dann könnte ich mich auf den Weg nach Deutschland zu meiner Familie machen. Heute ist schon der achte Tag, also müsste ich ja schon längst entlassen sein. Ich bin echt genervt! Es ist ja nicht nur die Hochzeit an sich, zu der ich gerne hin möchte. Es ist die Tatsache, dass ich hier raus komme, um mein Kind, meine Familie, Bekannte und viele Freunde zu sehen. Ich möchte einfach nur abschalten, den ganzen Mist mal vergessen und feiern. Ich habe ein tolles Kleid, werde frisiert und geschminkt. Ich möchte mich wieder einmal gut in meiner Haut fühlen. 
 
 
Tag 9
Ich wache ziemlich aufgeregt mal wieder gegen 5:30 Uhr auf und schaue gleich auf mein Handy. Leider habe ich noch keine Rückmeldung meiner Ärztin erhalten. Meine Sorge um meine Brustwarze bleibt erst einmal. Genauso wie die Sorge, ob später wohl die Drainagen raus können, dass ich endlich entlassen werde? Es dauert jetzt noch Stunden, bis endlich mein Doc kommt. Er sagte „morgens“, wer weiß wann das genau ist. Bei jedem Toilettengang schaue ich auf die Skalierung der Drainagen-Behälter, ob noch viel Wundflüssigkeit nachgelaufen ist. Seit dem ich wach bin, ist nichts nachgekommen. Es ist 8:30 Uhr als mein Frauenarzt plötzlich im Zimmer steht. Zuerst zeige ich Ihm meine Brustwarze. Es ist alles in Ordnung. Es war lediglich ein großes Stück Schorf, das abgefallen ist. Alles wird verheilen und später sieht man angeblich nichts mehr. Puh! Glück gehabt!
 
Danach spricht er mit der anwesenden Schwester, um zu erfahren, wie viel Wundwasser in die Behälter nachgelaufen ist. Ich kann nicht wirklich verstehen, was sie sprechen. Nach kurzer Zeit sieht mein Doc mich mitleidig an, denn er hat keine guten Nachrichten für mich. Die Drainagen müssen drin bleiben. Es ist noch zu viel Wundflüssigkeit nachgekommen. Ich kann also heute nicht entlassen werden? Ich merke diesen großen Klos im Hals und wie meine Augen feucht werden. Ich versuche es keinen merken zu lassen. Mein Doc sagt er kommt morgen Abend gegen 21 Uhr wieder, um dann eventuell die Drainagen ziehen zu können. Aber eine Prognose abgeben, könne er dazu leider nicht.
 
Ist das jetzt wirklich wahr? Ich habe es mir doch so gewünscht! Ich bin am Boden zerstört! Ich kann es einfach nicht fassen. Ich habe mich doch insgeheim schon gefreut und ich hatte doch so gehofft, heute nach Deutschland fahren zu können. Die Hochzeit ist ja schon in drei Tagen.
 
Ich fühle mich gerade so elend. Obwohl ich ja nicht mal sicher weiß, ob ich nicht doch rechtzeitig entlassen werde. Ich glaube, ich erleide gerade einen Nervenzusammenbruch er. Zumindest fühlt es sich so an. Ich kann schwer atmen. Mein Kopf fühlt sich an als würde er platzen von den ganzen Gedanken, die mir durch den Kopf schwirren. Ich muss weinen. Am liebsten würde ich laut los schreien. Ich will gerade niemanden sehen. Ich wünsche mir meine Zimmernachbarin würde sich in Luft auflösen,  damit ich irgendetwas kaputt schlagen kann. Ich bin wütend auf mich selbst. Ich vermisse meine Tochter doch so sehr. Wieso hört das Wundwasser nicht auf zu laufen? Wieso bin ich überhaupt krank geworden? Warum bleiben die meisten 4-7 Tage nach so einer Operation im Krankenhaus und ich liege nach 9 Tagen immernoch hier herum? Ich nehme mir meine Kopfhörer und mache so laut es geht Musik an – dann höre ich meine Gedanken vielleicht nicht so laut.
 
Ich höre mein Lieblingslied. Immer wieder und wieder. Dabei starre ich aus dem Fenster und kann nicht aufhören zu weinen. Meine Mutter ruft an, aber ich will jetzt mit niemanden sprechen. Ich will einfach nur daliegen und in Selbstmitleid versinken. Es dauert wirklich lange, bis ich wieder einen klaren Gedanken fassen kann und mich etwas beruhige. Genau genommen ist es ja auch noch nicht zu spät für die Hochzeit. Dann schreibe ich meinem Mann die schlechten Neuigkeiten und wie traurig ich bin. Er tröstet mich so gut er kann. 
 
Danach schreibe ich meiner Ärztin erst einmal, was mein Frauenarzt über meine Brustwarze gesagt hat, wie schlecht es mir geht und ob noch eine Chance besteht, dass ich fahren kann. Sie hatte mir ja mal gesagt, dass ich nur etwas 4-7 Tage im Krankenhaus bleiben müsse. Sie ruft mich an und erklärt mir, wie auch mein Frauenarzt, dass leider laut der Schwestern noch viel zu viel Wundflüssigkeit aus der Wunde läuft und es höchstens 20-30ml in 24 Stunden sein sollten, damit diese gezogen werden können. Es besteht zwar nach 7 Tagen eine erhöhte Infektionsgefahr für die Stellen, wo die Drainagen hineingehen, doch wenn zu viel aus der Wunde läuft, kann sie sie nicht herausnehmen lassen. Auf keinen Fall darf sich etwas entzünden. Wieder empfinde ich die gleichen schlechten Gefühle, wie heute Morgen und fange an zu weinen. Ich hasse mich selbst dafür, dass ich wegen jedem Mist anfange zu heulen. Dann kommt auch noch das Mittagessen ohne Hauptspeise, die habe ich angeblich nicht bestellt habe. Auch das bringt mich fast zum weinen, aber glücklicherweise wird mir noch eine Gericht nachgereicht. Ich bin so nah am Wasser gebaut. So kenne ich mich gar nicht.
 
Ab heute bekomme ich weniger Schmerzmittel, deshalb habe ich wieder mehr Schmerzen. Aber ich beiße die Zähne zusammen, schließlich will ich aus dem Krankenhaus raus. Zuhause muss ich ja auch mit weniger Mitteln auskommen können.
 
 
Tag 10
Heute ist der 10. Tag. Ich glaube schon nicht mehr daran, dass ich heute entlassen werde. So wie ich das sehe, ist nicht so viel Wundflüssigkeit nachgekommen. Muss ich jetzt auf das Ergebnis wirklich warten bis mein Doc heute Abend kommt. Das halte ich doch im Leben nicht aus! Ich schreibe jetzt einfach meiner Ärztin, ob sie denkt, dass ich heute gehen kann. Gedacht getan. Nach kurzer Zeit schreibt sie mir auch schon zurück. Sie fragt, mich, wie viel denn nachgelaufen ist. Die Frage leite ich direkt an die Schwester weiter. Sie soll es mir sagen, damit ich es an meine Ärztin wiedergeben kann. Sie schaut nach. Über Nacht sind noch knapp 40ml Wundflüssigkeit nachgelaufen. Schnell schreibe ich das meiner Ärztin aber befürchte Schlimmes, weil es ja eigentlich nur 20-30ml sein dürfen.
 
Die Antwort muss ich ein paar Mal lesen. Sie schreibt, dass sie meinem Frauenarzt Bescheid sagt, dass er mir heute Abend die Drainagen entfernen soll und ich dann losdüsen kann. Die Infektionsgefahr steigt mit jedem Tag, deswegen können die Dinger raus. Ich bin so glücklich und kann es noch gar nicht richtig glauben, was ich da lese. Ich darf tatsächlich heute Abend das Krankenhaus verlassen. Ich muss gleich wieder weinen, aber diesmal vor Freude. Ich bin so glücklich, dass ich am liebsten einen Luftsprung machen würde. Jetzt heißt es, noch irgendwie den Tag herum kriegen. Ich rufe sofort meinen Mann an, um ihn die Neuigkeiten zu erzählen. Er sagt er packt alles zusammen und kommt dann gegen Nachmittag, um mit mir auf den Doc zu warten. Ok. Jetzt heißt es Zeit vertreiben. 
 
Als mein Mann und ich total gelangweilt nachmittags im Zimmer sitzen und wir irgendwie versuchen die Zeit „Tot zu schlagen“, bekommen wir Tee und Kuchen gebracht. Heute ist es endlich nach 10 Tagen mal ein Kuchen den ich gerne esse. Ich mache mir so meine Gedanken über meine „Brüste“, wie sie wohl zum Schluss aussehen werden. So wie sie jetzt aussehen, kann ich mir noch nicht vorstellen, dass das jemals wieder gut aussehen wird. Mein Mann hat sich bisher nicht wirklich damit beschäftigt – zumindest nicht mit mir darüber geredet. Wir haben immer nur darüber gesprochen wie es mir geht. Ich frage ich ihn, ob er sich das mal ansehen möchte. Ob ihn das denn nicht interessieren würde. Er zögert und sagt mir dann, er sei noch nicht bereit, sich das anzuschauen. Er will es lieber erst sehen, wenn wieder alles gut ist. Ich weiß kurz nichts darauf zu sagen, doch dann bin ich sehr froh, dass er so ehrlich ist.
 
Es ist 21:30 Uhr als mein Frauenarzt mit einer Schwester das Zimmer betritt. Sie bereiten alles vor, um mir die Drainagen zu ziehen. Zum Glück, weiß ich was mich erwartet. Es tut auch dieses Mal nicht weh. Was für ein Gefühl – so ohne die Drainagen. Auch der Venenkatheter wird entfernt. Endlich habe ich keine lästigen Sachen mehr im Körper stecken.
 
Um 22.00 Uhr verlassen wir endlich das Krankenhaus. Ich kann es noch gar nicht glauben! Als wir im Auto sitzen und losfahren, merke ich leider mal wieder, wie viel Schmerzen ich noch habe, obwohl ich vor zwei Stunden noch eine Infusion bekommen hatte. Der Autositz ist einfach etwas anderes als ein Bett. Wir präparieren den Sitz mit Kissen und Decken so, dass ich auf der langen Fahrt halbwegs bequem sitzen kann. Aber mit ist sowieso alles egal, ich will einfach nur nach Deutschland zu meiner Familie fahren. Zur Not auch mit Schmerzen. Durch die Aufregung den ganzen Tag und die Freude, schlafe ich zum Glück immer wieder ein. Ich habe zwar so meine Probleme mit dem hart gefederten Auto und den Bodenwellen, aber es ist alles besser als noch länger im Krankenhaus zu sein.
 
Es ist 5:00 Uhr als wir endlich in Frankfurt ankommen. Um 5:30 Uhr liege ich auch schon im Gästebett meiner Eltern, indem auch meine Tochter liegt. Diese Uhrzeit scheint mich zu verfolgen. Dieses Mal wache ich allerdings nicht auf und bin genervt, weil es so früh ist, sondern ich kuschele mich, soweit es die Schmerzen zulassen, an meine schlafende Tochter heran, genieße die Nähe und freue mich auf die nächsten Tage mit ihr und meiner Familie… ❤