Als ich heute früh meine Augen aufschlage,  fühlen die sich ziemlich verquollen an. Das muss wohl an der letzten Nacht liegen, in der ich kaum ein Auge zubekam. Mein Kopf malt sich Dinge aus, die ich zwar schnell versuche, wieder zu vergessen, doch laufen mir dabei ziemlich unkontrolliert die Tränen die Wangen hinunter in mein Kopfkissen. Ich fühle mich ausgeliefert, müde und habe eine Vorahnung, was mich da später in der Praxis erwartet.
  
In der letzten Woche hatte ich Momente, in denen ich mir zu 100% sicher war, dass „es“ sowieso nichts ist. Ich bin ja schließlich immer bei allen Vorsorgeuntersuchungen gewesen, bei denen alle Werte und Ergebnisse immer bestens waren. Habe regelmäßig viel Sport betrieben und mich gesund ernährt. Aber heute Nacht hatte ich so eine Vorahnung. Ich kann es nicht beschreiben, aber eben so ein Angstgefühl, dass die Ärztin mir sagen wird, dass ich Krebs habe. Dabei denke ich auch an die Fehlgeburt und die Eileiterschwangerschaft zurück. Wollte mein Körper mir nach den Fehlgeburten signalisieren, dass etwas nicht stimmt? So viele Fragen schwirren mir im Kopf herum, die mir leider niemand beantworten kann.
  
Auf dem Weg zur Befundbesprechung sitzen mein Mann und ich schweigend im Auto. Zum Glück geht mir nichts im Kopf herum, ich bin ganz leer und starre nur so vor mich hin. So trotte ich auch gedankenlos meinem Mann hinterher in die Praxis. Im Wartezimmer angekommen, ist fast kein Platz zum Sitzen. Jetzt soll ich hier auch noch so lange warten, um dann zu hören, dass ich krank bin. Vielleicht ist meine Zeit ja kostbarer, als ich bisher gedacht habe….
  
So, da sitzen wir nun endlich der Ärztin gegenüber. Sie schaut uns beide an. Mir wird schlecht, und ich fühle jetzt schon, was sie mir sagen will, und da kommt es auch schon: „Liebe Frau Teves….. die Biopsie ist leider positiv ausgefallen, Sie haben Brustkrebs!“ Ich spüre, wie mein Mann meine Hand ganz fest drückt. Er sieht mich an und wartet auf eine Reaktion, doch ich fühle mich wie versteinert und kann ihn nicht einmal ansehen. Ich denke gar nichts, bis mir Tränen in die Augen schießen, und ich erstmal schlucken muss. Brustkrebs!?!? Schlagartig sind sie wieder da, die ganzen schlimmen Gedanken prasseln auf mich ein.
  
Das erste, was mir wieder in den Sinn kommt, ist meine Tochter – werde ich sterben? Sie braucht mich doch noch. Als hätte meine Ärztin meine Gedanken gelesen, sieht sie mich an und sagt „Frau Teves, was ich Ihnen garantieren möchte, ist, dass Sie an diesem Krebs nicht sterben werden! Es ist ein bösartiger Tumor, der entfernt werden muss, aber der glücklicherweise ganz langsam wächst, sodass die Risiken, dass er gestreut hat, ziemlich gering sind.“ Sie vermutet sogar, dass der Tumor schon bei der letzten Untersuchung vor zwei Jahren vorhanden war und hätte entdeckt werden müssen. Sie bittet mich, ihr die alten Röntgenbilder zukommen zu lassen. Wie sich später herausstellt, hat sich ihr Verdacht bestätigt. Der Tumor war damals schon eindeutig zu erkennen! (Dazu später mehr!)
  
Die Risiken einer Streuung sind  gering:  Was genau soll ich mir darunter vorstellen? Sie spricht weiter und erklärt uns, dass der Tumor leider bereits zu groß ist, um ihn brusterhaltend  zu entfernen, was  bedeutet, dass die Brust amputiert werden muss – auch Mastektomie genannt. Amputation!?!? Dann habe ich ja keine Brust mehr? Was ist, wenn nur eine Brust betroffen ist? Laufe ich dann mit nur einer Brust herum? Das ist alles gerade zu viel für mich!
  
Plötzlich habe ich so ein Gefühl, dass das, was ich mir schon in meinen schlaflosen Nächten ausgemalt habe, sich jetzt richtig anfühlt. Ich erkläre meiner Ärztin, dass ich bitte gleich beide Brüste abgenommen haben möchte, auch wenn in der rechten Brust nichts mehr gefunden werden sollte. Dann kann ich wenigstens zu fast 95% ausschließen, dass der Krebs zurückkommt und ich laufe nicht nur mit einer Brust herum. Zum Glück hält meine Ärztin das auch für die beste Lösung.
  
Im weiteren Gespräch erklärt Sie mir, dass ich keine Chemotherapie benötige, weil diese Art von Tumor nicht anspringen würde auf eine Chemotherapie. Eine Strahlentherapie hält Sie für nötig, aber genau könne man das erst nach der Untersuchung des ersten Lymphknotens sagen. Der wird mir bei der Operation entnommen und anschließend untersucht. Nur wenn dieser Lymphknoten mit Krebs „befallen“ sein sollte, wird eine Strahlentherapie notwendig werden.
  
Meine Ärztin fragt mich plötzlich, ob wir unsere Kinderplanung hoffentlich bereits abgeschlossen haben. Denn ich werde circa 5-10 Jahre Antihormone nehmen müssen und zusätzlich bekomme ich  alle drei Monate Spritzen, die mich künstlich in die Wechseljahre schicken. Das hatte ich befürchtet! Das ist das wirklich Schlimmste für mich an dem ganzen Thema „Brustkrebs“. Ich will doch mindestens zwei Kinder haben. Eigentlich wollte ich sogar immer vier Kinder! Ich möchte nicht, dass meine Tochter als Einzelkind aufwächst. Wie soll ich bloß damit klarkommen? Dass ich nie wieder mein Baby stillen kann, damit kann ich leben, aber dass ich nie wieder ein Baby bekommen kann, kann ich mir nicht vorstellen. Das will ich mir auch nicht vorstellen! Auch wenn ich weiß, dass ich nur so überleben kann!
  
Überwältigt von all den Gedanken und Gefühlen vereinbare ich noch den Termin zum MRT gestützten Biopsie im AKH für die rechte Brust eine Woche später. Meine Ärztin bittet mich, alles noch einmal ganz detailliert mit meinem behandelnden Frauenarzt zu besprechen. Glücklicherweise ist dieser Termin bereits vereinbart, denn ich muss unbedingt das Thema Baby und natürlich alle weiteren Schritte noch ganz genau abklären. Ich wische mir die restlichen Tränen aus den Augen, gehe zu Tür und wir verabschieden uns.
  
Etwas sprachlos laufen wir zum Auto. Ich weiß gar nicht, was ich fühle oder ob ich überhaupt etwas fühle. Meine Gedanken wirbeln nur so durch meinen Kopf:  Bin ich froh, dass ich keine Chemotherapie benötige? Oder bin ich froh, dass ich einen nur langsam wachsenden Tumor habe? Oder bin ich total erschüttert, dass ich gerade erfahren habe, dass ich Brustkrebs habe,  vielleicht keine Kinder mehr bekommen werde oder im schlimmsten Fall sogar sterben könnte?  Ich glaube, ich höre jetzt besser auf zu denken und starre wieder vor mich hin…
  
Da kommt mir plötzlich ein schrecklicher Gedanken…. Jetzt muss ich es ja noch meinen Eltern erzählen! Sie sind ja gerade zu Besuch bei uns  und warten zu Hause. Gleich in unser Gartentor hineinzufahren und den langen Weg bis hin zum Haus zu laufen, wo meine Mutter wahrscheinlich am Fenster steht, macht mir jetzt schon panische Angst, bevor wir überhaupt in der Nähe des Hauses sind.
  
Ich weiß noch, als sei es eben gewesen, als meine Mutter mir vor 1 ½  Jahren am Telefon gesagt hat: „Mein Engelchen, ich muss Dir was sagen! Ich habe Brustkrebs“. In diesem Moment ist meine Welt zusammengebrochen! Meine Mutter und ich haben eine ganz besonders tiefe, innige, starke und freundschaftliche Beziehung. Ich konnte mir mit keiner meiner Zellen vorstellen, dass sie vielleicht an Brustkrebs sterben könnte. Ich kann nicht annähernd beschreiben, wie schlimm das für mich wäre, meine Eltern zu verlieren. Mir ist schon bewusst, dass sie irgendwann sterben werden, aber doch nicht in absehbarer Zeit. Ich hatte versucht gefasst zu reagieren, aber nachdem wir aufgelegt hatten, brach ich weinend zusammen. Ich wollte mir noch kein Leben ohne meine Mutter vorstellen! Meine Mutter soll doch noch Ihre Enkelkinder aufwachsen sehen! Wie soll mein Vater denn ohne meine Mutter leben? Es war einfach nur der absolute Horror und die schrecklichste Nachricht, die ich in meinem Leben je bekommen hatte. Glücklicherweise konnte der Tumor operiert werden und mit anschließender Bestrahlung hoffentlich ganz geheilt werden. Doch die Angst, dass der Krebs wieder kommt bleibt natürlich in mir, denn erst nach 5 Jahren krebsfrei gilt man als wieder gesund. Und jetzt muss ich Ihr bzw. ihnen gleich sagen, dass ich auch Brustkrebs habe?
  
Ich kann mir nur vorstellen, wie schrecklich diese Nachricht für meine Eltern sein muss. Wenn ich mir in meinem Gedanken ausmale, dass meine Emma mir sagen würde, dass sie krank ist – es würde mir das Herz brechen. Wie bei meiner Mutter würde eine Welt für mich zusammenbrechen. Diese Sorgen und Ängste, die dann entstehen sind unbeschreiblich! Merkwürdigerweise, waren meine Ängste und Sorgen um meine Mutter viel größer, als die Sorgen und Ängste, die ich mir um mich mache. Warum das so ist, verstehe ich zwar nicht, aber es fühlt sich eben anders an.
  
Genau wie vermutet, sehe ich meine Mutter und meinen Vater in der Küche stehen, als sich das Gartentor öffnet. In der Küche angekommen brauche ich meine Mutter nur anzusehen und sie weiß sofort wie die Diagnose ausgefallen ist. Ich nehme sie fest in den Arm. Komischerweise weine ich gar nicht, obwohl mir danach zu Mute ist. Mein Vater checkt natürlich auch gleich was los ist und fängt an, Fragen zu stellen. Wir setzen uns auf die Terrasse und ich schildere erst einmal alles, was meine Ärztin mir gesagt hat. Meine Eltern lassen sich nichts anmerken, aber ich kann erahnen, wie schlecht es Ihnen jetzt geht.