Als ich die Augen aufschlage, sehe ich sie, meine Tochter, ganz nah vor mir. Sie lächelt mich an. Sie hat mich vorsichtig angetippt, um mich aufzuwecken. Mein Herz klopft ganz schnell. Ich bin schon lange nicht mehr so glücklich gewesen. Ich habe es wirklich geschafft. Ich bin hier! Meine Tochter steht vor dem Bett, weil sie schon ziemlich früh aufgestanden ist. Das habe ich gar nicht mitbekommen. Nach der langen und anstrengend Fahrt habe ich geschlafen wie ein Stein. Dann hat sie es aber irgendwann nicht mehr ausgehalten und durfte mich endlich wecken. Sie traut sich nicht wirklich, mich zu berühren. Wir haben ihr ja erklärt, dass ich operiert wurde und dass sie ganz doll aufpassen soll, wenn sie mich anfasst, damit sie mir nicht wehtut. 

Mit Hilfe meines Mannes stehe ich auf und nehme sie erst einmal so richtig fest in den Arm. Es tut zwar alles höllisch weh, aber das ist mir wirklich sch… egal!!!! Ich will sie einfach nur halten. Ich will sie am liebsten gar nicht mehr loslassen. Doch wie meine Tochter eben so ist, will sie gar nicht wirklich lange kuscheln, sondern fragt mich, ob wir beide lieber zusammen spielen können☺. Natürlich können wir das! Aber erst einmal gehen wir ins Wohnzimmer, wo meine Eltern auch bereits auf mich warten. Sie empfangen mich herzlich und wollen mich auch endlich in den Arm nehmen. Ich bin so happy, hier zu sein. Das kann ich gar nicht in Worte fassen.

Bevor ich jedoch mit meiner Tochter spielen kann, muss ich erst einmal duschen – endlich alleine. Da ja gestern im Krankenhaus die restlichen Drainagen gezogen wurden, brauche ich dabei jetzt keine Hilfe mehr. Danach fühle ich mich wie ein neuer Mensch! Endlich kann ich mich wieder riechen! Jetzt bekomme ich noch eine Kleinigkeit zum Frühstück serviert, während meine Tochter und ich schon das Puzzle startklar machen. Sie will nicht länger warten, deshalb soll ich essen während wir puzzeln. Also los, dann puzzeln wir!

Während ich so dasitze und etwas verträumt die Teile suche, wird mir klar, wie einzigartig und wunderschön diese Momente mit meiner Tochter sind. Ich schaue meine kleine Maus an und bin so dankbar, dass es das Universum gut mit uns gemeint hat und ich wirklich hier mit ihr sitzen darf. Ständig ermahnt sie mich, dass ich puzzeln soll, anstatt sie die ganze Zeit nur anzusehen… Nachdem wir fertig sind, holt sie sofort das nächste Puzzle, das wir machen sollen. Und noch eines, nachdem wir das zweite Puzzle beendet haben. Ich möchte ihr nichts ausschlagen und hätte wahrscheinlich auch noch zehn Puzzle mit ihr gemacht,  trotzdem bin sehr froh, als sie dann die Lust verliert. Sie möchte jetzt gerne einen Film mit mir schauen. Zum Glück, denn ich bin schon wieder fix und alle von dem bisschen Aktivität und einfach nur  froh, dass ich mich jetzt auf der Couch lang machen kann. Also schauen wir gemeinsam die Eiskönigin und ich genieße es, sie riechen und spüren zu können. Ich bin gerade wirklich wunschlos glücklich!

Später am Tag entscheide ich mich dann endlich das Kleid anzuprobieren, das ich für die Hochzeit meines Bruders gekauft habe – denn morgen ist es ja schon soweit! Ich habe einen ziemlichen Horror davor! Ich bekam zwar im Krankenhaus Brustprothesen, die in einen echt schönen weißen BH integriert sind, aber ich bin noch skeptisch, ob das unter dem dunklen Kleid gut aussieht. Außerdem war der BH bei der Anprobe auch ziemlich unbequem beziehungsweise hat er sogar wehgetan, weil er natürlich auf die Wunden gedrückt hat. 

Mit Hilfe meiner Mutter ziehe ich den BH an. Er sitzt wunderbar – aber es tut immer noch weh an den Narben. Ich kann mir auch noch nicht wirklich vorstellen, ihn den ganzen Abend zu tragen. Aber egal, ich werde wahrscheinlich sowieso einige (viele) Schmerzmittel nehmen müssen, um den ganzen Abend gut durchhalten zu können. Mit viel Glück spüre ich den BH dann auch nicht mehr. Jetzt kommt das Kleid dran. Hoffentlich passt es noch! Aber ich hätte ja sowieso kein anderes… Ich bin ganz nervös… wegen eines Kleides? Oh man. Auch hier hilft meine Mutter mir hinein. Und siehe da, es sitzt super. Durch die paar Kilos, die ich abgenommen habe, sitzt es sogar noch besser als vorher und sieht auch echt gut aus. Den BH sieht man glücklicherweise gar nicht durchblitzen. Jetzt geht’s mir gut. Die Hochzeit kann kommen!

Ich darf morgen mit den Trauzeuginnen und der Braut im Hotel von der Visagistin schön gemacht werden. Ich werde geschminkt und frisiert. Ich will so gut aussehen, damit mir keiner ansieht, dass ich bis gestern noch mit Krebs im Krankenhaus gelegen habe. Passend zu meinem Kleid suche ich mir noch einige Frisuren heraus, die ich der Visagistin vorschlagen werde. Jetzt steigt wieder die Aufregung in mir hoch. Ob ich das morgen alles schaffe? Ob ich das mit den Schmerzen in den Griff bekomme? Wie lange ich wohl bleiben kann? Ich beruhige mich dann aber ziemlich schnell wieder, denn ich sage mir: „Hauptsache ich bin hier und kann mit feiern, mehr wollte ich gar nicht!“ Auch wenn ich den ganzen Tag nur auf einem Stuhl sitze, kann ich schließlich alles miterleben.

Den Rest des Tages verbringe ich mit meiner Tochter, meinem Mann und meinen Eltern gemütlich zuhause. Ich merke, wie anstrengend der Tag „nicht im Bett“ für mich ist – trotzdem genieße ich jede Sekunde mit meiner Familie.